„Es geht nicht um Verzicht, sondern um Komfortgewinn“

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Auf welchen Kanälen und mit welchen Instrumenten kommunizieren Politiker und Politikerinnen die Mobilitätswende? Wie vermittelt man Bürgerinnen und Bürgern, dass es dabei auch um Verzicht geht? Und mit welchen Argumenten überzeugt man die verschiedenen Anspruchsgruppen?
Um all diese Fragen, um Klimaschutz, Mobilität auf dem Land und um lebenswerte Städte ging es beim diesjährigen Online-Neujahrsempfang der BdKom-Landesgruppe Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland am 16. Januar. Dafür hatte das Sprecherinnen- und Sprecher-Team mit Karin Müller eine sachkundige und prominente Impulsrednerin gewinnen können. Die Vizepräsidentin des Hessischen Landtags ist eine erfahrene Verkehrspolitikerin, Sprecherin für Verkehr der Grünen Landtagsfraktion in Hessen und Mitglied der Enquetekommission “Mobilität der Zukunft in Hessen 2030”.
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In ihrem Impulsvortrag erläuterte sie, dass die verantwortlichen Politiker und Akteure im Bundesland auf eine Kombination aus Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung und weniger umweltschädigende Antriebe für Autos sowie deren intelligente Nutzung setzen. „Auch der Fußverkehr spielt eine wichtige Rolle in unserem Konzept“, betonte sie.
Zudem sei es das Ziel, den Radverkehr zu stärken, so die Mobilitätsexpertin. Dabei sei es egal, ob die Menschen mit dem Bio- oder dem E-Bike unterwegs seien. Hierfür baue das Land die Radwege aus – insgesamt zehn Prozent des Straßenbauetats stünden ab dem nächsten Jahr zur Verfügung. Da 80 Prozent aller Radwege in Hessen im Zuständigkeitsbereich der Kommunen lägen, sei es eine Aufgabe des Landes, diese zum Ausbau zu befähigen. Dazu stelle Hessen Beispiele für Umsetzungskonzepte und weitere Unterstützungsangebote bereit. Beim Ausbau der Straßen für Autos und Nutzfahrzeuge hingegen setzen die Verantwortlichen auf Sanierung der bestehenden Verkehrswege anstelle von Neubau.
Die Verlagerung auf Bus und Bahn bildet einen wichtigen Baustein der Verkehrswende. Für den Ausbau des Schienenverkehrs im RheinMain-Gebiet stehen in den nächsten Jahren rund 20 Milliarden Euro zur Verfügung. Diese kommen zum Teil auch vom Bund. „Eine gute Schienenverbindung ermöglicht es Menschen, auch außerhalb der Ballungsgebiete wohnen zu bleiben“, sagte Karin Müller. Um die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel attraktiv zu gestalten, habe das Land in den vergangenen Jahren das 365-Euro-Tickets für Schüler sowie kostengünstige Tarife für Senioren und Landesbedienstete eingeführt. „Durch Vereinfachung wollen wir mehr Menschen in Bus und Bahn bringen“, erläuterte sie. Dass die Maßnahme wirkt, bestätige eine begleitende Studie der Universität Frankfurt.
Bei der Kommunikation der Maßnahmen spielen die Social-Media-Kanäle inklusive TikTok eine entscheidende Rolle. Jedoch gehe es inhaltlich nicht um Verzicht, sondern vielmehr um Komfortgewinn. „Lebenswerte Städte, saubere Luft, mehr Klimaschutz und Sicherheit sind gut für alle“, sagte Karin Müller. Dabei setze das Team auch auf Storytelling, Emotionen und ‚Helden‘. Zudem versuche man Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen – zum Beispiel indem man aktiv die Meinung einhole. „Die Menschen müssen mitgenommen werden“, unterstrich sie. Möglicherweise müsse man künftig auch in neuen Formaten denken, zum Beispiel ein „Der 7. Sinn“ in veränderter Form, bei dem es um ‚Mobility as a Service‘ ginge. Fake News entgegenzusteuern sei leider ebenfalls immer relevanterer Teil der Arbeit. „Wir machen viel, insgesamt gibt es aber sicher bei unserer Kommunikation noch Luft nach oben und Raum für Ideen“, ergänzte sie.
In der anschließenden lebhaften Diskussion mit den Mitgliedern ging es unter anderem um Narrative für die Verkehrswende und die Wahrnehmung, dass von vielen Menschen die Mobilitätswende zwar grundsätzlich begrüßt werde. Aber wenn sie den eigenen Komfortbereich betrifft, Zustimmung doch schnell in Protest umschlägt. Diskutiert wurden zudem die schlechte Anbindung des ländlichen Raums an den ÖPNV, die Kommunikation rund um den Bau der Fahrradwege in Frankfurt und der Sinn von Insellösungen. Dass die Grünen in Hessen den Weiterbau zweier Autobahnen mittragen müssen, sei bedauerlich, räumte die Landtags-Vizepräsidentin ein. Aber die rechtsstaatlichen Prinzipien seien in einer Demokratie von allen Beteiligten zu befolgen – auch beim Thema Mobilitätswende, betonte sie.
Bild: Rund 10.000 Radfahrende aus ganz Hessen haben sich am 28. August 2022 auf den Weg nach Wiesbaden gemacht um 70.000 Unterschriften für eine Verkehrswende und mehr Radwege, breitere Bürgersteige und einen besseren ÖPNV/ Bahn an Verkehrsminister Tarek Al-Wazir zu übergeben.
Text + Bild: Bettina Schmidt