Gendergerechte Anreden: „Herr“, „Frau“, „divers“?

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Der BdKom veröffentlicht in jeder Ausgabe des Magazins KOM sowie online die Kolumne Fair formuliert. Die Autorin des Kompendiums Gendersensible Sprache greift darin jeweils eine Frage auf, die unter Kommunikationsprofis diskutiert wird. Die Auftaktkolumne für das Jahr 2023 dreht sich um das aktuelle Urteil zur genderneutralen Anrede beim Online-Ticketkauf der Deutschen Bahn.

Wenn Sie etwas beim Pizza-Lieferservice Call a Pizza bestellen möchten, können Sie bei der Registrierung zwischen drei interessanten Anredeoptionen wählen: „Herr“, „Frau“ und einem Regenbogen. Dieses Emoji ist eine Anspielung auf die Regenbogenflagge, die seit Jahrzehnten als Symbol für weltweite Gleichberechtigung und Akzeptanz der LGBTQI*-Communitys steht. Das ist doch wirklich mal was Neues. In vielen anderen Fällen ploppen nämlich in den Dropdown-Listen der Anmeldemasken lediglich die Optionen „Herr“ und „Frau“ auf. (Korrekter wäre doch eigentlich „Frau“ und „Herr“, folgte man der alphabetischen Reihenfolge.) Nichtbinäre Personen, die meist trans-, intergeschlechtlich oder beides sind, haben in diesem Fall ein Problem. Denn ihr Geschlechtsbewusstsein entzieht sich dieser binären Form. Was also sollen sie ankreuzen?

Das Deutsche-Bahn-Urteil
Vor mehr als zwei Jahren hat eine nichtbinäre trans Person sich das nicht länger gefallen lassen und geklagt: und zwar gegen die Deutsche Bahn, weil diese beim Online-Ticketkauf die Menschen zwingt, zwischen „Herr“ und „Frau“ zu wählen. Das Oberlandesgericht Frankfurt urteilte schließlich im Juni 2022, dass eine geschlechtsneutrale Alternative angeboten werden müsse. Laut Tagesspiegel rechtfertigte die Bahn die bisherige Beibehaltung der binären Anrede in der Verhandlung damit, dass eine Umstellung des IT-Systems Verwaltungskosten in Höhe von drei Millionen Euro verursachen und anderthalb bis zwei Jahre dauern würde. Doch vergeblich. Das Gericht gewährte der Deutschen Bahn sechs Monate: Bis Anfang 2023 hätte alles umgesetzt sein müssen. Doch nun hat das Unternehmen dagegen geklagt, dass es nicht in Revision habe gehen dürfen, und damit erneut Zeit für die geforderte Anpassung seiner Website gewonnen.
Durch solche Gerichtsurteile aufgeschreckt, reagieren immer mehr Unternehmen und gestalten ihre Anmeldemasken um. Manche sind dabei so kreativ wie Call a Pizza oder auch Flixbus („Herr“, „Frau“, „Person“), andere orientieren sich an der dritten Geschlechtsoption im Personenstandsgesetz, also „divers“, und hoffen, damit sei die Sache erledigt. Doch „divers“ ist nicht das Äquivalent zu „Frau“ oder „Herr“, sondern zu „männlich“ oder „weiblich“ im Sinne des offiziellen Personenstandseintrages. Wir sprechen Personen schließlich nicht mit „Guten Tag, divers Müller“ an und auch nicht mit „Hallo weiblich Musterfrau“.

Interessante Alternativen
Als die Missy-Magazin-Kolumnistin Felicia Ewert auf Twitter den Screenshot eines Regenbogen-Emojis als Anredeoption postete (es ist ungewiss, ob dieser von Call a Pizza ist), gab es mehr als 1.400 Likes – aber auch Einwände wie etwa, dass ja auch Frauen und Männer queer sein können. Es ist nicht leicht, keine Frage. Schön jedoch ist, dass Unternehmen mit verschiedenen Möglichkeiten spielen.
Die Beratung Fairlanguage gibt zu dem Thema auf ihrer Website noch ein paar Tipps. So sei beispielsweise die inklusivste Art der Anrede, die Auswahl der Anredeoptionen einfach um ein Freifeld zu erweitern. Die Menschen würden dann selbst eintragen, wie sie angesprochen werden wollen.
Katha Krämer arbeitet bei Fairlanguage als Beraterin und mahnt: „Im Sinne von Datensparsamkeit sollte zuallererst abgewogen werden, ob eine Erfassung des Geschlechts überhaupt notwendig ist.“ Wir könnten es uns also auch ganz einfach machen: nämlich mit dem Eintrag „keine Angabe“ oder „keine geschlechtliche Anrede“. Dann würden wir einfach alle mit „Hallo Vorname“ oder „Guten Tag, Vorname Nachname“ angesprochen. Das ist übrigens auch die Ausspielung der Anrede, wenn man bei Call a Pizza das Regenbogen-Emoji ausgewählt hat.

Die Autorin

Jeanne Wellnitz ist Autorin des Kompendiums Gendersensible Sprache. Strategien fairen Formulierens und der Journalistenwerkstatt Gendersensible Sprache. Faires Formulieren im JournalismusDie gebürtige Berlinerin ist neben ihrer Tätigkeit als freie Journalistin Senior-Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion Wortwert. Sie hat Literatur- und Sprachwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert, beim Magazin KOM volontiert und schreibt Literaturkritiken für das Bücher Magazin und die Psychologie HeuteHier können Sie sich die Kolumne als Pdf herunterladen.

Quellen

Das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt (Juni 2022)https://openjur.de/u/2434757.html
Tagesspiegel-Beitrag anlässlich des Urteilshttps://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/nach-beschwerde-du…
Tweet von Felicia Ewerthttps://twitter.com/redhidinghood_/status/1620831076821389312
Tipps von Fairlanguagehttps://www.fairlanguage.com/wissen/nicht-binaere-anrede-online-richtig-erheben-urteil#

Diese Kolumne erschien zuerst im Magazin KOM 1/2023.
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