Ist der Genderdoppelpunkt barrierefrei?

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Der BdKom veröffentlicht in jeder Ausgabe des Magazins KOM sowie online die Kolumne Fair formuliert. Die Autorin des Kompendiums Gendersensible Sprache greift darin jeweils eine Frage auf, die unter Kommunikationsprofis diskutiert wird. Diesmal geht es um die vieldiskutierte Frage, ob der Genderdoppelpunkt barrierefrei ist.

von Jeanne Wellnitz                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               
Vor zwei Jahren führte der schwedische Streamingdienst Spotify recht geräuschlos eine Neuerung ein: den Genderstern (Künstler*innen). Ein Nutzer regte daraufhin auf der Spotify-Community-Plattform an, diese Schreibweise nur als Option, nicht als Voreinstellung zur Verfügung zu stellen. Wenn ein solcher Vorschlag innerhalb von sechs Monaten 180 Stimmen (Votes) bekommt, wird er vom Spotify-Team höher priorisiert, um später auf Realisierbarkeit überprüft zu werden. Die Anfrage erhielt jedoch nicht genug Stimmen.
Apple hat nun Ähnliches umgesetzt und mit dem neuen iPhone-Betriebssystem im September den Genderdoppelpunkt eingeführt. Warum ist er nicht optional, sondern festgelegt? Und weshalb entschied sich das Unternehmen für den Doppelpunkt und nicht für den Stern? Auf Nachfrage gibt sich ein Sprecher sparsam und verweist auf die Werte „Inklusion und Diversität“ sowie „Barrierefreiheit“. Apple diskutiere Entscheidungen grundsätzlich nicht öffentlich, sagt er.

Mythen über den Genderdoppelpunkt

Dabei gäbe es zum Doppelpunkt viel zu sagen: zum Beispiel dass seine vielbeschworene Barrierefreiheit ein Mythos ist. Oder dass er in den trans und inter Communitys weitaus weniger akzeptiert ist als der Stern oder der Gap. Er ist schließlich auch nicht von ihnen vorgeschlagen worden, der Stern hingegen schon. Außerdem kündigt er als Interpunktionszeichen etwas Weiterführendes an oder leitet wörtliche Rede ein. Der Doppelpunkt ist also bereits mit einer eindeutigen Funktion innerhalb unserer Orthografie belegt. Sicherlich fühlen sich deshalb auch so viele mit ihm vertraut.
Belegen Zahlen denn seine Beliebtheit? Sabine Krome vom Rat für deutsche Rechtschreibung sagt, gefühlt sei der Doppelpunkt im Kommen, jedoch schwer im digitalen Textkorpus nachzuweisen. Es gebe noch keine zuverlässige Methode, sein Aufkommen zu messen.

Neue Studie zur Barrierefreiheit

Fest steht: Damit Screenreader gut mit den verschiedenen Formen des Genderns umgehen können, wäre ein Konsenszeichen ideal. Der Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) bekannte sich im März zu dem laut Rechtschreibrat am häufigsten verwendeten Zeichen: dem Genderstern. Und auch die Studie der Überwachungsstelle des Bundes zur Barrierefreiheit von Informationstechnik, in der Vertretungen behinderter Menschen sowie Leute aus den Selbstvertretungen der LGBTIQ befragt wurden, unterstreicht dies: Die Befragten empfänden den Stern in digitalen Anwendungen barrierefreier und gebrauchstauglicher als den Doppelpunkt.
Einen Wunsch haben jedoch all jene, die Screenreader nutzen: Um barriereärmer lesen zu können, eignen sich Wörter ohne Satz- und Sonderzeichen in der Mitte besser. „Dies entspricht auch den Konventionen
der Wortbildung und der aktuellen Rechtschreibung“, bekräftigt Sabine Krome. Also bitte nur wenige Sterne beim Schreiben verwenden.

Die Qual der Wahl

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat die Sache in einem ihrer Online-Artikel über das Gendern recht clever gelöst. Das Lesepublikum kann sich durch einen Klick den Stern anzeigen lassen oder ihn aus dem Text tilgen. Diese Idee hatte vor Jahren schon das Magazin „Tonic“. Kein Zweifel, die Möglichkeit zu wählen, ob und wie gegendert wird, ist ein verlockender Weg, um alle zum Lesen einzuladen. Doch sie entzieht sich gleichermaßen einer Haltung. Die Frage ist: Was steht an der Stelle, an welcher der Stern getilgt wurde? Ist es das generische Maskulinum oder eine gendersensible oder neutrale Form ohne Stern? Darüber lässt sich diskutieren. Eines jedoch ist mittlerweile klar: Den Doppelpunkt aus Gründen der Barrierefreiheit zu verwenden, ist angesichts der aktuellen Faktenlage fragwürdig.

Die Autorin

Jeanne Wellnitz ist Autorin des Kompendiums Gendersensible SpracheDie gebürtige Berlinerin ist neben ihrer Tätigkeit als freie Journalistin Redakteurin beim Fachmagazin Human Resources Manager. Sie hat Literatur- und Sprachwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert, beim Magazin KOM volontiert und schreibt Literaturkritiken für das Bücher Magazin und die Psychologie Heute.

Quellen

https://community.spotify.com/t5/Closed-Ideas/All-Platforms-Other-Please-make-genderstar-in-german-language/idi-p/4893556
https://www.apple.com/diversity/
https://www.apple.com/de/accessibility/
https://www.dbsv.org/gendern.html
www.bfit-bund.de/DE/Publikation/empfehlung-gendergerechte-digital-barrie…
https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/politik/gendersternchen-in-der-…
https://www.tonic-magazin.de/

Diese Kolumne erschien zuerst im Magazin KOM 4/2021 und wurde für die Onlineversion an zwei Stellen aktualisiert. (Januar 2022)
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